Donnerstag, 15. Juli 2010

Passierschein II 3/4

Neuigkeiten aus dem Servicewunderland Ecuador.
Zu all der Aufbruchsstimmung, die mich hier in Ecuador erfasst hat, gehört auch alle Verbindungen zu diesem Land zu kappen. Man verabschiedet sich tränenreich von Freunden, arbeitet nur noch pro forma und schliesst das ecuadorianische Bankkonto.
Letzteres aber stellte sich als ungeahnt schwierig heraus.
Schon Mittwoch nachmittag beschloss ich das erste mal mein Konto zu schliessen und machte mich auf zur Hauptstelle der Banco Pichincha. Um kurz nach 4 Uhr am nachmittag kam ich in der Bank an, doch der freundlich grummelnde Sicherheitsmann versicherte mir das eine Kontoschliessung nur von 9 bis 16 Uhr jeden Tag zu erledigen sei.
So vertröstete ich mich auf den nächsten Tag und ging lieber mit einem Arbeitskollegen ein Bier trinken. So weit so gut.
Nächster Tag. Selbes Ziel. Diesmal tauchte ich um Viertel nach Drei in der Bank auf. Und wieder stand der miesgelaunt lächelnde Sicherheitsmann mit herzlichverschränkten Armen an der Treppe. Und wieder fragte ich:" Wo kann ich denn bitte mein Konto schliessen?" - "Leider nur möglich Montag bis Freitag, von 9 Uhr bis..." - "..4 Uhr, ich weiss!", fiel ich ihm ins Wort. - "Mhh.. Ja. Normalerweise schon. Heute aber nur bis 3 Uhr."
Ungläubig starrte ich auf seinen mächtigen Schnauzbart und schüttelte den Kopf. Als er auch anfing seinen Kopf zu schütteln beschloss ich lieber noch ein Bier trinken zu gehen.
Inzwischen Freitag. Man lernt aus seinen Fehlern. Es kam auch eine genervte Mail von einem anderen Freiwilligen an, der ebenfalls erfolglos sein Konto zu schliessen versucht. Immerhin war er schon soweit vorgedrungen mit einem Verantwortlichen zu sprechen. Dieser Verantwortliche aber hatte einen schriftliche Gesuch ob der Schliessung verlangt. Mit Passnummer, Kontonummer, Kartennummer und Ausstellungsdatum.
Mit einem solchen Brief also bewaffnet wagte ich einen weiteren Versuch, diesmal aber morgens. Stolz lächelnd schritt ich an dem müde gähnenden Sicherheismann vorbei und stolperte beinahe auf der Treppe.
Dann aber endlich stand ich vor dem Verantwortlichen. Stolz wedelte ich mit dem Gesuch vor seiner Nase herum. Das Resultat waren gelangweilte Augen, die mich müde musterten. Ich gab ihm auch noch meinen ecuadorianischen Ausweis, der innerhalb von Ecuador komplett als Reisepassersatz gilt. Nach einigem Drehen und Wenden in seiner trocken rissigen Hand, stellte er zufrieden fest, das ich doch meinen Reisepass brauche.
Nun aber reichte es mir. Ich schnauzte freundlich zurück, das er doch bitte lesen solle was auf dem Dokument steht, -gültig für alle innerstaatlichen Formalitäten- ,im übrigen habe ich mit dieser Karte auch das Konto eröffnet, es zu schliessen sollte also doch auch möglich sein! Seine müden Augen musterten mich lange und dann verlangte er zwei Farbkopien des Ausweises. Also wieder Treppe runter. Raus. Kopien machen. Rein. Treppe hoch. Anstellen. Warten. Warten. Warten. Und wieder bei den müden Augen.
Endlich. So dachte ich. Nun folgte die peinlich genaue Untersuchung meiner Unterschriften. Dazu zogen die müden Augen noch ein weiteres AUgenpaar hinzu und zusammen studierten sie mich und meine Unterschriften. Dann tuschelten sie etwas und nickten dann geheimnisvoll. Ich musste erneut unterschreiben und wurde dabei genau beobachtet.
Dann endlich schienen sie mir zu glauben. Ich guckte inzwischen genervt an die Decke oder betrachtete interessiert die Plastikpflanzen in den Plastiktöpfen.
Dann stellten die müden Augen mir 3 Dokumente aus und schickten mich in das Erdgeschoss um mein restliches Geld auf dem Konto zu empfangen.
Wie die müden Augen mir mitgeteilt hatten, stellte ich mich also bei dem Schalter 1 an. Anstellen. Warten. Warten. Warten. Die Frau mit der Brille hinter dem Schalter plauchte inzwischen mit dem Mann vor mir in der Reihe. Sie unterhielten sich über Kinderschuhe. Spannend. Dann war ich an der Reihe. Ich reichte der Frau meine drei identischen Papiere und studierte dann ihre Brille. Sie war schwarz und gross und dick und nicht besonders schön. Sofort reichte sie mir meine Papiere zurück. Ich müsse noch einen Stempel beim Supervisor machen lassen und mich dann an der allgemeinen Schlange anstellen.
Also wieder anstellen. Warten. Warten. Warten. Genervt schaute ich auf die Uhr an meinem Handy. Schon über eine Stunde war ich hier beschäftigt. Dann klopfte mir der altbekannte Sicherheitsmann auf die Schulter und gab mir freundlich raunzend zu verstehen, dass ich hier kein Handy benutzen dürfe. Ich dankte ihm und knirschte ein bisschen mit den Zähnen.
Warten. Warten. Der Supervisor hört sich gerade einen Witz an, es scheint um Geschlechtsverkehr von Katzen zu gehen.
Warten. Dann endlich. Lachend empfängt er mich und studiert eine Weile meine Dokumente. Tippt auf seiner Tastatur herum. Kratzt sich am Kinn und mustert mich lächelnd. "Miesterr", sagt er stempelt auf meinen Papieren herum. Ich verabschiede mich eifrig und stelle mich wieder an. Warten. Warten. Warten. Ich pfeife etwas vor mich hin, bis die Frau vor mir in der Schlange sich empört umdreht. Sie schüttelt den Kopf. Dann schüttele ich auch ein wenig den Kopf und sie schaut wieder nach vorne. Warten. Warten. Warten. Meine Miehne verfinstert sich. Umso fröhlicher scheint der Sicherheitsmann zu werden, der jetzt eifrig hin und her hüpft und breit grinst. Er erinnert mich an den Hausmeister von Scrubs. An DEN Hausmeister. So stehe ich da und gucke links oben ins Leere, während ich vor mich hinträume. Man wird sonderbar von langem Warten. Dann bin ich an der Reihe. Und wieder komme ich zu der Brille von vorhin. Ich begrüsse sie mit einem säuerlichen Lächeln und sie nimmt grusslos meine gestempelten Dokumente entgegen. Dann tippt sie etwas herum. Zählt ein wenig Geld und telefoniert dann noch eine Weile. Endlich entlässt sie mich mit meinem letzten Ersparten und zwei doppelt gestempelten Dokumenten. Ich gehe grusslos. Selber schuld denke ich. Als ich mich umdrehe lächelt sie mir hinterher. Ich lächele aus Reflex auch. NEIN!, denke ich. Es ist schwer böse zu sein.
Treppe hoch. Warten. Warten. Warten. Die müden Augen wirken nun wacher, als sie mich misstrauisch mustern. Warum hat das denn so lange gedauert? Sie mussten doch nur am Schalter 1 ihr Geld in Empfang nehmen. Er schüttelt missbilligend den Kopf. Dummer Gringo. Ich gebe ihm meine Zettel. Er stempelt noch ein wenig, perforiert meine Karte sorgsam und reicht mir dann ein Papier zurück. Das wars auch schon, sagt er lässig. Ich lächle auch. Sauer wie eine Zitrone aber. Das ging ja schnell, sage ich noch. Er aber schaut nur verwundert und ruft dann den nächsten Kunden.
Anderthalb Stunden im Irrenhaus. Endlich wieder auf der Strasse. Ich blinzele zufrieden in die Sonne und rempele freundlich einen erschreckten Passanten an.
Ach Ecuador. Mi lindo país!! Ich liebe dich mit all deinen Macken und Kanten. Oder gerade wegen deinen Macken vielleicht. Du bist so sympathisch fehlbar und menschlich verrückt...


Bilder vom letzten Wochenendtrip mit Yoki und seinen Eltern:


Macas & Sucúa

Mittwoch, 7. Juli 2010

Ein Kurztrip in Szenen

-Aufblende-

Brüllend erheben sich die vier. Sie schreien dem großen Flachbildfernseher entgegen und ballen die Fäuste. 1:0. Die Menschen umher können es nicht fassen. 2:0 Deutsche Jubelschreie. 3:0 Himmelblaue Shirts wischen Tränen fort. 4:0 Alles wird schwarz-rot-gold.
Ich schlage mit Hamit ein. Er ist Iraner. Aber heute trägt er ein schwarz-weißes Shirt, welches uns beider verbindet. Ihm gehört auch die Bar in der wir das Spiel schauen. Die wenigen Himmelblauen haben sich kleinlaut verzogen. Wahrscheinlich trotten sie schweigend durch die sepiafarbenen Gassen Lojas und müssen sich den Spott der strahlenden Sonne ertragen lassen. Uns aber erscheinen die wärmenden Strahlen wie die goldene Dusche des Sieges. Halbfinale. Auf ins Halbfinale heißt es. Und während wir so durch das wunderschöne Loja schlendern werden uns immer wieder erhobene Daumen geschenkt. Man klopft uns auf die Schultern und deutet mit 4 Fingern in den strahlenden Himmel. Man feiert uns, als hätten wir eben selbst auf dem Platz gestanden. Ganz Loja scheint Löws Jungs für eine Szene zu danken:
Ein sprachloser Maradonna.

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Meine Augen gleiten auf das Stroganof und die frischen Spätzle in der Pilzsoße. Langsam lasse ich den Blick höher streifen. Vor mir steht ein frisches Weißbier an dem die Kälte langsam hinunter perlt. Dahinter im Hintergrund eine weiße unschuldige Tafel mit einfachen Lettern: DL 4:0 Arg. Ich muss lächeln. Wie einfach es doch ist glücklich zu sein, denke ich. Und der warme Wind streift mich. Mein Blick wandert träumerisch hinunter ins Tal, während ich einen Schluck Franziskaner nehme. Vilcabamba. Ich hatte ja keine Ahnung... wie verschwenderisch ging ich mit dem Begriff Paradies um. Bevor ich kannte was sich mir hier doch zeigt. Nur dieser Fleck hat diese Formel verdient. So eine sanfte, einfach Schönheit. Vilcabamba prahlt nicht. Aber das muss es auch nicht. Die Natürlichkeit ist sein Geheimnis. Saftige Wiesen, zerfließend weiche Berge, Farbenfrohe Blumenwelt, gekrönt von grotesken Wolkenbildern auf azurblauem Grund. Ganzjährig um 21 Grad mit leichtem Wind, der um dein Gesicht schmeichelt.
Wie einfach Glück doch ist, denke ich wieder. Zufrieden liegt mein Stroganof-Bauch nun am Pool und ich blinzele zufrieden in die Sonne. Dann ein wenig Sport - Tischtennis und Billard und schließlich frisch machen für die große Deutschlandparty am Abend, schließlich wird das Hotel ja von Landsmännern geführt.

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Staubige Steine springen eifrig durch die Luft. Für einen Moment sehe ich alles, wie in Zeitlupe. Immer wieder heben sich die Hufen in die Luft hinauf und stoßen dann wieder kräftig in den Boden der staubigen Wege hinein. Durch Baumwipfel gefilterte Sonnenstrahlen streifen meinen vom Eifer erhitzen Kopf. Mein Kopf ist starr nach vorn gerichtet. Ich habe die Umgebung fest im Blick. Meine Augen trotzen dem scharfen Sonnenlicht. Weite Weideflächen breiten sich vor mir auf. Dann wieder engere Täler. Mal saftig grüne Weiden mit Kühen. Dann wieder Banananplantagen.
Meine Rechte hält hart die ledernen Zügel, während meine Linke rhythmisch die kleine Peitsche schwingt. Vor mir rauscht die breite Mähne des tapferen Tieres und ich kann das freudige Schnauben hören.
Dann aber muss ich aufpassen. Fast hätte ich den Halt verloren. Mitten im Galopp beinahe hinuntergefallen. In letzter Sekunde bekomme ich aber den Sattel zufassen und ich füge mich wieder dem Rhythmus des galoppierenden Pferdes. Werde eins mit dem Rhythmus.
Am Straßenrand grüßt mich ein alter Mann und zieht seinen Hut. Ich nicke ihm zu und bin schon vorüber. Eine kleines Schamgefühl macht sich breit. Wie gut es sich doch manchmal anfühlt mächtig zu wirken. Ich muss an die Gutsherren des 19. Jahrhunderts auf ihren Südamerikanischen Haziendas denken. Doch dann muss ich mich wieder konzentrieren. Fast wäre ich wieder gefallen.

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Loja & Vilcabamba