Samstag, 29. Mai 2010

Chilenachtrag

Nachdem ich nun aus dem Regenwald wieder komme kann ich auch den Bericht über die Chilereise nachreichen. Ich entschuldige das chronologische Durcheinander und hoffe der kluge Leser findet seinen Weg durch Textdschungel.


Zwei Wochen nur. Doch denk ich zurück so erscheinen sie wie Monate. Monate voller Erlebnisse, Bekanntschaften und Erfahrungen. Erlebt aber wieder fühlt sich die Zeit um ein Vielfaches kürzer an.
Zwei Wochen nur. Und doch zu viel um davon in Kürze zu berichten.
Chronologisch werde ich es wohl kaum zu Stande bringen. Ich werde aus dem Gefühl heraus schreiben. Schreiben was mir gerade in den Kopf kommt.

Doch zunächst eine kleine Reisroute:

Riobamba - Guayaquil - Lima - Santiago - San Pedro de Atacama - Iquique - La Serena - Valparaíso - Santiago - Guayaquil - Riobamba


In Santiago also treffe ich auf Max. Die ganze Nacht hindurch unterhalten wir uns im kleinen Hintergarten der Deutschen-WG. Als die Sonne schon weit am Himmel steht und deutlich die herbstliche Kälte der Nacht verscheucht wollen wir aufbrechen. Unsere Reise starten.
Wir schultern unsere Rucksäcke. Seit langem wieder U-Bahn fahren. Ich bin ein wenig aufgeregt. Irgendwie ist hier alles so anders als in Ecuador. Die Menschen haben deutlich hellere Haut, die Strassen sind sauberer, und es gibt eine U-Bahn.
Am Busbahnhof dann der erste Dämpfer. Es gibt keine Busse mehr nach San Pedro. Nur am Abend wieder. Etwas enttäuscht kaufen wir die Tickets für den Abend und auf einmal sind wir sehr müde. Die Stadt wirkt grösser als zuvor. Immer mehr Menschen strömen durch die Strassen und quetschen sich zu uns und unseren übergrossen Rucksäcken in die U-Bahn.
Nur mit Mühe kann ich meine Augen offenhalten. Wir kaufen bei der WG um die Ecke einen Laib frisches Brot und Wasser. Ergänzt mit Nutela, Milch, Kaffee und Cornflakes aus der WG ergibt sich für uns ein super Frühstück. Dann aber geht nichts mehr. Ich bin wie schlafwandelnd. Und wandele umgehend auf die Couch.
Ich rieche Fisch. Frischen gebratenen Fisch. Vielleicht mit etwas Dill gewürzt. Auf jeden Fall viel Pfeffer. Dazu kommt das schleimige Bruzzeln von Bratfett. Ich kann nicht länger widerstehen und öffne meine Augen. Als erstes sehe ich Jonas in der Küche braten. Dann aber fällt mir sofort auf, dass der Tag goldener geworden ist. Die Sonne steht tief und wirft ein verschlafenes Gold in die Wohnung. Ich erschrecke. Wir müssen zum Busbahnhof. Wir haben wirklich fast den ganzen Tag geschlafen. Jonas begrüsst mich freudig überrascht. Ich danke für seine Gastfreundschaft und schiebe mir dann ein Stück Brot in den Mund.
Dann wecke ich Max, der sich im zweiten Stock in eine Bett eingerollt hatte.
Wieder Rucksäcke schultern und dann nichts wie ab. Wieder U-Bahnfahren. Inzwischen kenne ich die Strecke. Santiago ist doch übersichtlicher als ich zunächst dachte.
Das Busterminal ist zweistöckig und riesig. Wir essen eine Kleinigkeit und packen uns genug zu essen ein. 22 Stunden nämlich wird die Fahrt dauern. Wir begutachten unser neues Heim zufrieden und lassen uns auf die Luxsledersitze fallen, die leicht in ein Bett umzufunktionieren sind. Dann geht die Fahrt los. Es sit schon dunkel draussen. Drinnen läuft ein japanischer Streifen. Max und ich schlafen schnell ein.
Mitten in der Wüste erst erwachen wir wieder. Es ist 10 Uhr morgens und um uns nur Sand. Ein gutes Gefühl über 12 Stunden in dem Bus geschlafen zu haben. Auch ein gutes Gefühl zu Frühstücken. Dann machen wir eine Pause bei Antofagaste am Pazifik und es ist ein gutes Gefühl seine Beine wieder zu bewegen. Ich rufe beim Hostal Sonchek in San Pedro an. Julian ist schon agekommen wird uns gesagt. Wir werden sehnusüchtig erwartet lacht die Frau in Telefon. Auch ein schönes Gefühl.
So vergeht der Rest der Fahrt wie im Flug. Zur Linken der Pazifik und zur Rechten die unendliche Wüste. Um 8 Uhr kommen wir in San Pedro an. Wir sind noch immer mitten in der Wüste. Ein staubiger Wind fegt durch die Strassen des kleinen Dörfchens. Kleine Lehmhäuser. Es wirkt nicht so als würde hier ein Freund aus Heidelberg warten. Ich frage eine Mann nach dem Weg zum Hostal und er deutet freundlich in eine Richtung und trottet dann weiter.
Und dann stehen wir vor dem Hostal und wir hören einen Schrei. Und dann fliegt auch schon ein langer, bärtiger Julian durch die Luft und wirbelt direkt auf uns zu. Lächelnd beobachtet die Hostalfrau unsere Begrüssungsszene. Endlich vereint! Endlich wieder vereint.
Vor über 9 Monate sah man sich das letzte mal im fernen Heidelberg, und nun wieder zu dritt vereint an diesem staubigen Ort.
Sofort ziehen wir los und feiern unser Zusammensein mit Pizza und Bier!Von diesem Moment an erscheint mir alles wie ein Traum. Wir stürzen uns auf Snowboards von riesigen Sanddünen hinab. Der stahlblaue Himmel über uns zerfloss und die bizarren Fels- und Sandformationen der Atacameswüste spielten lustiges Theater im Spiel der untergehenden Sonne.
Der rote Feuerball der Abendstunden taucht die ganze Wüste in ein unwirkliches rötliches Dämmerlicht und du siehst die Farbe Rot in undenklicher Variation. Es ist das Schauspiel einer menschenlosen Welt. Die Schönheit dieser Landschaft liegt jenseits der Schaffungskraft des Menschen. Tagsüber heiß, hart, schroff und tödlich und am abend von einer seltenen Sanftmut. Die Atacameswüste lebt.
Auf Mountainbikes durchquerten wir den zweittrockensten Ort der Welt. Wir entspannten unsere geschundenen Körper in den seltenen Quellen und wir schwitzten, froren und freuten uns an diesem Ort.
Das waren die ersten gemeinsamen Tage am Ende der Welt. Schon nach diesen wenigen Tagen schien es uns, als wären wir nie getrennt gewesen. Als hätten wir uns nie in Heidelberg Lebewohl gesagt.
Unsere Leiber bräunten sich und bildeten endlich einen Kontrast zu den weißen Häuschen des kleinen gemütlichen Nestes San Pedro.
Uns aber wurde klar wir müssen weiter. Chile wartet auf uns.
Umgeben von dem unendlichen Sand kam in uns ein unsterbliches Gefühl von Durst auf. Wir sehnten uns nach den weiten Wassern. Nach rauschenden Wellen und weiß schäumender Brandung. Nach Sand der ein Ziel im Wasser findet. Wir sehnten uns nach dem Meer.
So nahmen wir eine kleine Planänderung vor und beschlossen noch einmal weiter in den Norden Chiles vorzustoßen. Bis nach Iquique.
Nach weiteren Nachtstunden in Chiles Reisebussen konnten wir die salzig schwere Luft des weiten Pazifiks vernehmen.
Iquique ist der Traum den wir im weiten Sand von San Pedro hatten. Hier öffnet sich die weite Wüste und stürzt sich in selbstmörderischen Absichten in die Fluten des wilden Pazifiks.
An dieser Nahtstelle zwischen undenlicher Trockenheit und weiten Wassern, zwischen Ertrinken und Verdursten liegt Iquique mit dem von Hochhäusern geprägten Gesicht der vielen Hafenstädte. Doch die weiten Paläste und die kolonialen bunten Holzfestungen der Altstadt sind Zeugen anderer Zeiten. Zeugen des reichen goldenen Salpeterzeitalters. Diese prächtig schlichten Bauten und die Geschichten von Kriegen, Schlachten, Reichtum, Stolz und Sklaverei geben Iquique sein Gesicht. Nicht immer ein schönes Gesicht aber doch so authentisch und rein. Nirgendwo riecht der Fisch so wie auf dem Fischmarkt von Iquique, wenn die Fischer die Köstlichkeiten des Meeres ausbreiten und alle Straßenköter Chiles
witternd um die Ecken schleichen. Iquique sind die Surfer, die vor der neuen Hochhausfratze ihre Künste zeigen. Iquique ist das flanieren am Meeresufer. Der Geschmack von frischen Empanadas, Bier und salziger Luft auf der Zunge.
Wir fanden was wir gesucht hatten. Der Pazifik erprobte uns mit seinen Spielen und warf uns wie kleine Spielkugeln in seinem Bette hin und her. Der weiche Sand der Strandküste umarmte uns warm und die Stadt beschenkte uns mit vom Pisco getrübten Strandpartys und Grillfesten.
Die Parillada Chilena, die Chilenische Grillplatte schmeckt nach einem harten Strandtag im Kreis der Freunde noch tausendmal besser. Und nur diese Platte kann die Grundlage schaffen für den starken Pisco - Chiles Weinbrand.
Es war schnell gegangen und Iquique hatte uns mit offenen Armen empfangen. Wir aber mussten getrieben vom Backpackerherzen wieder hinaus. Wieder hinaus in andere Städte Chiles.
Und wieder die Küste. La Serena. Am Herzen des Piscos gebaut. An den Tälern von Elqui geboren. Zur Küste gewachsen. La Serena empfang uns in einem herbstlichen Gewand. Die vielen Kilometer zwischen Iquique und La Serena lassen auch die Jahreszeiten wandern.
Vom Spätsommer in einen goldenen Herbst gefahren. Die Pappeln auf der breiten Allee warfen bereits ihr goldenes Kleid hinab. Auf den Straßen lag ein feiner Saum der gelblichen Herbstpracht.
Eine prächtige Stadt mit einem goldenen Strand. An der gesamten Küste reiht sich ein Strand an den nächsten, wie an einer unendlichen Perlenkette. Und nie sah ich einen Sonnenuntergang in einem solchen Rot wie hier. Oder vielleicht sah ich ihn. Nie aber wirkte ein Sonnenuntergang auf mich so wie an dieser goldenen Herbstküste Chiles.
Wir aßen zu abend in einer einfachen Pizzeria. Pizza, Pasta, Bier. In unseren Ohren surrten die weichen lateinamerikanischen Klänge, die man viel zu selten hört. Dann aber plötzlich ein lauter schriller Ton. Ein Alarm - nicht unähnlich dem deutschen Feueralarm oder Fliegeralarm. Der Alarm ertönt in der ganzen Stadt. Die Leute schauen sich verdutzt an. Nicht so verdutzt, wie wir sie mustern. Einige rennen auf die Straße. Die Musik wird leiser gedreht. Wir schauen uns an und denken alle an das selbe. An wackelnde Häuser, an springende Scheiben, an Erbeben.
Ich rufe die taubscheinende Kellnerin eifrig herbei. Was das für ein Geräusch sei möchte ich wissen. Die Feuer antwortet sie ruhig. Die Feuerwehr beklagt einen Toten in den eigenen Reihen. Tapfere Chilenische Feuerwehrmänner. Die Helden einer Nation. Erst jetzt nehmen wir den Trauerzug draußen auf der Straße war. Feuerwehrmänner in Trauerflor laufen hinüber. Es ist ein unangenehm passendes Bild für das Chile dieser Tage.
Nachdem wir La Serenas Bars und Kneipen satt sind, dann ruft uns ein höheres Ziel. Die Verheißung. Das legendäre Valparaíso. Chiles Kulturhaupstadt.
Die Stadt der tausend Gesichter. Verschachtelte Gassen. Dunkle Ecken. Kein Haus das dem anderen gleicht. Häuser jeder Farbe und Form. Allein sind sie individuell, gemeinsam aber ergeben sie das einzigartige Bild einer grandiosen Stadt. Unendliche Treppen der Schönheit. Alte Aufzüge auf ehrwürdige Hügel. Straßenkunst an jeder Ecke. Tiefes Blau des Pazifik. Weiße Wolken schwimmen im Himmelsmeer.
Von oben nach unten öffnet sich diese verkästelte Stadt dem weiten Wasser. Todesmutig eröffnet sie ihr Innerstes den wilden Wellen. Oben vertecken sich kleine unübersichtliche Gassen und wagemutige Treppen, unten imitieren die weiten Plätze und offenen Boulevards den Pazifik.
So viele Geschichten stecken in den Gassen. Man hört die Zeit in ihnen flüstern. Die Menschen.
Und über all dieser lebendigen Pracht, da thront der König. Der Dichter des Volkes. Dort oben über den Dächern Valparaíso auf einem der hchsten Hüglen da liegt die Stimme der Ungerechtigkeit und der Liebe. Die Stimme des Don Pablo. Der vielleicht volksverbundenste Dichter schreibt: “Die Treppen beginnen unten und oben und winden sich steigend. Sie werden fein wie Haar, gewähren kurze Rast, sind steil. Werden seekrank. Stürzen vornüber.Breiten sich aus. Weichen zurück. Enden nie.” Und er schreibt noch viel mehr treffende Sätze über diese Stadt des Lebens.
Und genau so fühlten wir uns in Valparaíso. Wir waren gefangen und befreit von Schönheit und Dichte. Von Weite und Verschrobenheit. Von seemännlicher Härte und weiblicher Zartheit. Nur einmal für einen Abend verließen wir Valparaíso und gingen feiern in dem benachbarten Vina del Mar. Die Residenz dieser ungekämmten Stadt. Wo Valparaíso wie eine verkommene bezaubernde natürliche Schönheit wirkt, so ist Vina die aufgebrezelte, künstlich oberflächliche Schwester. Und doch, als ich am Morgen nach großer Feier einige Zeit am Strand von Vina ging so enthüllte auch Vina seine Reize und seine viel einfacher zugängliche Schönheit. Und doch war ich froh zurück in Valparaíso zu sein.
Dann aber kam die Zeit des Abschieds. Wir zögerten ihn lange hinaus. Bis wir nur noch einen halben tag und eine Nacht in Santiago hatten bevor mich mein Flieger zurück in die ecuadorianische Wahlheimat bringen sollte.
Ein halber Tag ist wenig für eine Hauptstadt und so versuchten wir erst gar nicht ihr gerecht zu werden. Wir aßen in einem gemütlichen Straßenkaffee. Es war noch kälter geworden und ich fühlte mich wie in einem europäischen Herbst. Leute flanierten umher. Viele Studenten. Eingetlich nur Studenten. Wir saßen und genossen die verdiente Ruhe. Dann bestiegen wir den höchsten Stadtberg Santiagos mit einer Bergbahn. Oben in der Höhe blickt man gemeinsam mit der riesigen Mutter Gottes über das weite Santiago. Umringt von breiten Bergmassiven. Einzelne Hügel zeigend. Ansonsten glatt und weit daliegend. So ruhig liet sie da. Die Stadt in der Weltgeschichte geschrieben wurde. Große Männer gingen in diesen Straßen. Salvador Allende - Erfinder Lateinamerikanischer Sozialdemokratie. Gabriela Mistral - nonnenhafte Größe der Dichtkunst. Und zuletzt der große Pablo Neruda.
Hier oben sieht die Stadt von Pinochets Terror, Gewalt und Verrechen so klein und ruhig aus.
Man kommt in Grübeln dort oben, wenn der Wind einem durch die Haar fährt und leise die Stadtgeräusche an dein Ohr dringen.
Abwärts gingen wir zu Fuss. Ein kleiner Herbstspaziergang abseits der Hauptstadt.
Eine kleine Randnotitz im Lonelyplanet hatte unsere Aufmerksamkeit erregt. Die neueste Mode von Santiagos Businessklasse waren kleine Cafes mit “speziellen” Service, hieß es da. Etablissements, die nur tagsüber geöffnet haben, ausschließlich Kaffee verkaufen aber das ganze im Umfeld eines Stripclubs. Starker Kaffee und nackte Haut seien zu einer beliebten Kombination für die Mittagsstunden geworden. So weit der Lonelyplanet.
Wir aber fühlten, das wir der Sache auf den Grund gehen mussten. Und um es vorwegzunehmen es lohnte sich nicht. Trotz des starken und guten Kaffees.
Wir schlenderten noch etwas durch das dämmernde Santiago und kochten dann unser letztes gemeinsames Abendmahl in der Hostalküche.
Dann ging es los. Der letzte Abend in Chile. Der letzte abend in schon gewohnt gewordener Dreisamkeit. Elektronische Musik. 3 Freunde. Alkohol und Frauen.
Der Abend war dem eines letzten Abends angemessen und verschwand in den Dunstschwaden der jungendlichen Unternehmungslust.
Und dann der Abschied. Es war schwer ein weiteres Mal Abschied zu nehmen und sich zu sagen auf ein Wiedersehen in Deutschland. Dort wird wieder alles anders sein. Der Urlaub war ein Traum und wir drei träumten zusammen.
Wir hatten uns in Heidelberg verabschiedet, doch Chile ist der Ort an dem ich mein Herz verloren.

Ein letztes Geschenk machte mir Chile am Flughafen. Leicht benebelt durch die letzte Nacht stand ich am Schalter um mein Gepäck einzuchecken. Die freundliche Chilenin am Schalter erzählte mir aber das leider die Businessclass überbucht sei. Ich lächelte nur stumm und wunderte mich. Ich war noch nie Businessclass geflogen.
Bis sie mit ihren langen roten Fingenägeln auf mein Ticket tippte. Mein Reisebüro aus Deutschland hatte mich aus Versehen auf Businessclass gebucht. Doch die war nun überbucht. Traurig schüttelte die Frau ihre lange Mähne und beschwichtigte mich mit der Zusicherung das ich zwar Economyclass fliegen müsse aber dafür eine Entschädigungszahlung von 350 USD erhalten würde. Ticket getauscht. Dokument ausgestellt. Stempel drauf. Und ich hatte 350 USD in Bar auf der Hand.
Also flog ich wie von Anfang an vorgesehen Touristenklasse aber mit 350 USD mehr im Gepäck. Noch nie habe ich mir die Gegenstände im DutiFreeShop so genau angesehen.
Hin und Rückflug Ecuador-Chile haben mich also insgesamt 50 USD gekostet.
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht flog ich in Richtung Ecuador. Nach Hause...

Fitzcarraldo

Nach Zeiten der Internetabstinenz war es ruhig geworden um unseren kleinen blonden Helden aus Riobamba. Verschollen in weiten Regenwald war er und kehrte erst am heutigen Tag nach einem Monat wieder zurück zur Sultanin der Anden - nach Riobamba.
Nach Zeiten im Wilden Wald nun wieder in dem weichen Schoß der mütterlichen Anden.

Im Folgenden einige Aufziechnungen unseres Helden:

Dienstag, 4. Mai

Ich sehe die Dächer von Quito. Um mich herum regnet es. Die Hosentaschen und warme Gedanken sollen mich vor der Kälte bewahren. Doch so ganz klappt es nicht.
Ein grauer Morgen in Quito. Graue Häuser. Grauer Himmel. Alles grau.
Ich schiebe meine Hände tiefer in die Hosentaschen und verlasse die Dachterrasse des Hostals.
Meinen Rucksack geschultert bezahle ich die Nacht und verabschiede mich von der Senora. Sie wünscht mir eine frohe Reise und viel Glück.
Auch wenn ich mich auf der Straße nicht mehr umdrehe habe ich das Gefühl sie sieht mir hinterher oder winkt sogar noch einmal. Eine sehr freundliche Frau.
Es sind nur zwei Blocks die ich laufen muss und doch schlägt mir das Herz schnell und ich schaue mich aufmerksam um. Es ist immerhin Quito. Und ich befinde mich in der Marsical, bekannt für Überfälle und Diebstähle. Hier ist es schwierig den feinen Grad zwischen gesunder Aufmerksamkeit und argwöhnischem Wahn zu finden.
Ich komme wohlauf in dem Haus von Surtrek/Vitalideas an. Ich kenne das Büro schon vom Vortag und so steige ich gleich in den Fahrstuhl und fahre in den 4. Stock hoch.
Nach einem Klingeln an der Tür öffnet mir eine Frau. Auch wenn ich mich nicht an ihren Namen erinnern kann, erinnere ich mich sie schon am Vortag getroffen zu haben. Sie lächelt mich an und bietet mir an mich auf das Sofa zu setzen.
Dann kommt auch schon Alfonso, der Chef von Surtrek. In einer halben Stunde fahren wir los, erklärt er mir kurz. Ich setze mich wieder auf das Sofa und packe noch einmal meine Sachen um.
Einen Moment später kommt auch Flor. Sie macht ihrem Namen mal wieder alle Ehre. Mit dem breitesten und freundlichsten Lächeln begrüßt sie mich. Ich folge ihr in ihr Büro und wir klären noch Einzelheiten.
Dann kommt auch schon Alfonso wieder, ich verabschiede mich von Flor und sie verspricht mir mich am Montag zu besuchen.
Meinen Rucksack geschultert eile ich Alfonso hinterher durch den Regen von Quito. Er hat einen großen teuer aussehenden Geländewagen.
Auf dem Beifahrersitz beginne ich etwas Samalltalk. Er wirkt etwas angespannt oder gestresst, aber freundlich.
Dann holen wir noch einen Kunden ab, wie er sagt. Noch ein Deutscher. Und Alfonso spricht auf einmal auch Deutsch. Der Deutsche ist der Chef des Partnerreisebüros aus Deutschland.
Zusammen mit Alfonso bietet er für die Deutschen die Ecuadortouren an.
Dann beginnt unsere Fahrt zu dritt. Es ist komisch. Plötzlich scheint hier jeder in Ecuador deutsch sprechen zu können. Ich bin etwas verdutzt.
Wir machen eine kleine Pause in Papallacta. Die Vorzeigethermalquellen von Ecuador. Auch hier regnet es. Aber das verleiht dem riesigen Luxuskomplex mit Sauna, Massage und Wellnessbereich etwas gemütliches. Dieser Luxus, der sich mir hier zeigt passt auch nicht in das Bild, das sich mir in den letzten Neun Monaten von Ecuador gezeigt hat. Während wir dann im Auto weiter auf Deutsch plaudern, werfe ich einen prüfenden Blick aus dem Fenster. Auf einmal fühle ich mich nicht mehr als wäre ich noch in Ecuador. Zumindest ist das nicht mein Ecuador.
Trotz alledem ist die Landschaft noch immer wunderschön. Wenigstens das passt zu meinem Bild. Langsam fahren wir von 4000 auf 400 Meter hinab. Es wird wärmer. Grüner. Üppiger. Und das ganz rasant.
In Tena machen wir eine Pause. Wir gehen eine Kleinigkeit essen. Das Essen schmeckt europäisch und dauert viel zu lange. Untypisch. Ich merke noch deutlicher wie viele Bilder ich inzwischen von diesem Land habe und muss meine Haltung langsam kritisch beurteilen. Vielleicht habe ich mir auch nach 9 Monaten noch viel zu rasch Bilder von Ecuador gemacht.
Von Tena ist es nur noch eine Stunde. Dann hören die asphaltierten Straßen auf und der Regenwald beginnt.
Neben einem kleinen Holzhaus hält Alfonso den Wagen und wir steigen aus. Auf einem kleinen Pfad durch Bananenstauden, Palmen und unglaublich vielen unterschiedlichen Pflanzen gelangen wir zu der Lodge. Zu “der” Lodge. Es ist ein Paradies. Eine große zweistöckige Holzhütte mitten im Regenwald. Hier befinden sich Küche und Essensraum. Sowie 2 Bäder und die zwei Schlafzimmer für die Angestellten. Also in diesem Fall für Raúl, den Administrator der Lodge und für meine Wenigkeit. Es sind große Zimmer mit zwei Betten und privater Terrasse.
Und die Terrasse ist das beste. Hier oben liegst du in deiner Hängematte und schaust in das Treiben des Regenwaldes. Kolibris schwirren um das Geländer. Ein Tukan schwebt vorbei und von einem nicht weit entfernten Ast krächzen einige Papageien. Dazu das unglaublich laute Zirpen der Grillen.
Um das Hauptgebäude liegen strategisch verteilt die Cabanas, welche auch jeden Luxus bieten. Rodolfo und der Deutsche lassen sich in je einer von den Cabanas nieder.
Nach einem kleinen Spaziergang wird es auch schon dunkel und das Essen wartet bereits auf unserem Tisch. Eine leckere Suppe und danach ein riesiger Teller mit Maniok, Hühnchen an einer Pilzsoße und Reis. Es schmeckt super aber ich kann schon nicht mehr.
Wir wurden doch gerade erst mit frischem Obst, Fruchtsäften und Keksen begrüßt.
Der Nachtisch aus einer Schokoladentorte macht es mir dann wirklich schwer. Ich fühle mich wie im Traum und gehe so auch rasch zu Bett. Ich bin unglaublich müde...

Mittwoch, 5. Mai

Ich werde noch vor meinem Wecker von den Grillen und der Sonne, welche durch das offene Fenster hineinscheint, geweckt.
Ein Blick genügt und ich weiß wo ich bin. Im Himmel. Im grünen Himmel.
Ich dusche und gehe dann hinunter zum Frühstück, wo mich bereits Alfonso und der Deutsche erwarten.
Und was für ein Frühstück. 8 verschiedene frische Früchte. Leckere Säfte. Croissants. Müsli. Yoghurt, Wurst und Käse. Das ganze gekrönt von frischem, leckeren, starkem Kaffee.
Ich fühle mich wie im Urlaub. Luxusurlaub wohl bemerkt.
Mit vollem Magen streife ich mir die Gummistiefel über die Füße und stapfe begeleitet von Raúl den Weg zur Comunidad hinab.
Beim Gewächshaus sind schon etwa 8 Leute beschäftigt, als wir kommen. Hier bauen sie allerlei an. Tomaten, Zucchini, Paprika, Salat. Der Traum eines jeden Hobbygärtners. Raúl stellt mich den Leuten vor. Ich werde freundlich begrüßt und willkommen geheißen.
Nachdem Raúl wieder fort ist, beginnt die Arbeit.
Vor dem Gewächshaus soll ein kleineres Beet angepflanzt werden. Die Erde unter den umstehenden Bäumen soll sich besonders gut dafür eignen.
Für mich ist es ein großes Glück, das die Erde schön weich durch den vielen Regen hier ist. So fällt das Graben nicht schwer.
Einfache Arbeit. In der Theorie. Erde lockern. Auf den Schubkarren heben. Zum neuen Beet transportieren. Abladen. Das ganze von vorn. In der Praxis aber sieht das Ganze völlig anders aus. Die Sonne und die schwüle Hitze bringen mich schnell ins Schwitzen. Das tut dei Ablenkung gut, die ich in den Gesprächen mit den anderen finde. Sie sind unglaublich aufgeschlossen und scheinen sich wirklich zu freuen, das ich hier bin.
So vergeht der Vormittag unglaublich schnell. Wir errichten noch ein Regendach über dem Beet. Dann ist schon Mittagspause und ich kehre zur Lodge zurück. Ingo und Alfonso sind noch immer unterwegs.
Die Müdigkeit steigt nun unbehaglich in meine Knochen. Ich fühle mich matt und erschöpft. Auf meiner Stirn steht der Schweiß und mir ist unglaublich heiß. Mein Kopf glüht förmlich und an allen Gliedern jucken die Stiche der Moskitos.
Eine kalte Dusche sollte mir guttun, denke ich während ich mich aufs Bett fallen lasse. Doch im nächsten Moment schon bin ich eingeschlafen.
Nach unruhigen Dämmerminuten erwache ich wieder mit einem Ruck. Ich muss los. Und noch etwas essen. Mein Kopf fühlt sich dumpf und schwer an. Ich fühle mich krank.
Mit schweren Gliedern stapfe ich die Treppen hinunter, wo mir Raul bereits etwas zu essen vorbereitet hat. Ich schlinge alles eilig in mich hinein und stülpe dann die Gummistiefel über meine Blasen.
Als ich in der Comunidad ankomme scheinen die anderen schon auf mich gewartet zu haben. Wir gehen sofort los. Holz holen um ein kleines Büro- und Lagerhäuschen zu bauen.
Wir gehen weit. Und immer weiter. Immer den kleinen Steinpfad entlang.
Ich atme schwer. Das T-Shirt klebt an meinem Körper. Das Zirpen der Grillen und das Schreien der unterschiedlichsten Vögel klingt hart in meinen verbrannten Ohren.
Endlich verlassen wir den Pfad. Mit Macheten schlagen wir uns in den Regenwald.
Ich bleibe mit einigen auf einer kleinen Lichtung zurück während drei anderen mit Macheten und Kettensäge vorgehen um den passenden Baum zu finden.
Um mir nur Grashalme. Mein Kopf nun weich gebetet. Auch mein Atmen wird ruhiger. Mich stechen unzählige Mücken. Doch das ist mir egals. Ich bin froh liegen zu können.
Wir unterhalten uns. John ist Spanier erfahre ich. Ungläubig blicke ich den kleinen Jungen an, der mich angrinst. Er sei in Spanien geboren. Deshalb sei er Spanier und kein Ecuadorianer.
Langsam dringt das Dröhnen der Motorsäge an mein Ohr. Zumindest realisiere ich es erst jetzt. Vielleicht sägen sie schon länger. Es ist merwürdig mitten im Regenwald zu liegen und dem Dröhnen einer Motorsäge zu lauschen.
Dann Krachen, Knacken und Stürzen. Der Baum fällt. Glaube ich. Sehen kann ich ihn nicht. Vor lauter Bäumen.
Jetzt beginnt der schwierigste Teil. Wir schlagen uns mit den Macheten einen Weg zu dem gefällten Baum durch. Mir fällt es schwer Halt zu finden. Der Boden ist glitschig und schlammig und überall sind Wurzeln und Lianen, die einem den Weg versperren.
Mir schwant übles. Was ich gerade mehr rutschend und fallend ereldigt habe, müssen wir mit den schweren Stämmen und bergauf nocheinmal erledigen.
Und dann sehe ich ihn. Den gefällten Riesen. Schwer zu schätzen wie alt der Baum ist. Für mich jedenfalls. Er ist bemoost und Schlingpflanzen ungeben ihm wie zum Schutz. Hat ihm auch nichts gebracht. Nun liegt er da. Einfach so. Mitten im Regenwald. In 3 Meter lange Stücke zurechtgestutzt. Mir tut es leid das er gefällt wurde. Nicht nur weil es ein schöner Baum war, sondern viel mehr weil es ein schwerer Baum war. Die Arbeit ist noch anstrengender als erwartet.
Die dicken, langen Stammstücke müssen geschultert und den steilen schlammigen Pfad hinauf gebracht werden. Ziehend. Schwitzend. Schnaufend. Schreiend. Verzweifelnd.
Immerhin vergesse ich, wie krank ich mich vorhin noch gefühlt hatte.
Unter dem Gewicht der Baumstammes fällt das Amten unglaublich schwer. Schritt für Schritt kämpfst du dich mit den anderen den Berg hinauf. Jeder Schritt könnte ein falscher sein. Mit Vorsicht wählst du deine Schritte. Aber denken kannst du nicht unter dieser Last.
Doch zu spürst die Verantwortung die du trägst. Fällst du, so fällt die Gruppe. So war die gesamte Anstrengung der Gruppe umsonst. So weckst du ungeahnte Kräfte in dir, welche ebenfalls durch die Angst vom Baum erschlagen zu werden beflügelt werden.
Irgendwie schaffen wir es also die vier Baumstückriesen hinaufzuhiefen.
Und dann sitzen wir dort. Wir alle. Im Schatten anderer, mächtigerer Bäume. Wir unterbrechen die Stimmen des Waldes noch immer mit unserem Schnaufen. Doch ich fühle mich gut. Beinahe glücklich.
Und wir lassen die Stämme frei auf der anderen Seite ins Tal hinabrollen. Wie einfach und schnell sie den Berg hinunterrollen. Walzen über alles hinweg. Und doch scheinen sie den Pflanzen keinen Schaden zuzufügen.
Ich stehe staunend auf dem Hügel und blicke den Baumstämmen hinterher. Wie frei und unbeschwert sie hinunterrasseln.
Dort lassen wir sie ersteinmal liegen. Genug für heute.
Der Rückweg geht schnell und schon sehe ich mich wieder zurück in der Lodge.
Ich fühle mich richtig gut. Totmüde aber gut.
Raul und Rodolfo grillen heute abend für uns. Es gibt eine riesige Parillada. Das Bier schmeckt so gut wie nie. Es ist frisch. Herb. Unglaublich gut. Dazu gebratenes Schweine-, Puten, und Rindfleisch. Salate. Fruchtsäfte. Obst.
Als ich ins Bett falle kann ich nicht mehr denken. Nur fühlen. Und es fühlt sich gut an. Sehr gut.

Donnerstag, 6. Mai

Aufstehen. Duschen. Anziehen. Aber erst mit dem guten Kaffee, den leckeren Säften und dem morgendlicehn Gruch des Regenwaldes wache ich wirklich auf. Ein Wunder jeden morgen.
Durch mein Träumen am Frühstückstisch verspäte ich mich etwas. Als ich in der Comunidad ankomme, da sind die beiden ersten Baumstämme bereits zum Grundstück von Don Paco getragen. Die anderen beiden holen wir rasch mit einem Pferd ab. Mitten auf dem Rückweg reisst der Gaul jedoch mit den beiden schweren Stämmen auf dem Rücken aus und schlägt sich einen Weg durch das Unterholz. Weit kommt er nicht. Etwas griesgrämig steht der dann verkeilt zwischen zwei Bäumen im Grünen und beobachtet uns missmutig.
Nachdem wir ihn befreien trotted er gemächlich als wäre nichts geschehen zurück zu Don Pacos Finca.
Wir begegnen Ingo und Rodolfo, die sich von mir verabschieden und mir viel Glück wünschen. Ich habe nun die Lodge für mich alleine. Sturmfrei!
Bewaffnet mit scharfen Macheten schlagen wir nun auf dem Grundstück von Don Paco einen Platz frei für den Bau des Bürohäuschens.
Ich dresche mit böser Mine auf alles ein was in meiner Reichweite ist. Auf alles. Mit der Machete in der Hand fühle ich mich gefährlich und schrecklich verwegen.
Ob Crocodile Dundee auch mit solchen milden Lächeln bedacht wurde wie ich?
Erst Blasen an den Händen können mich stoppen. Dann blicken wir uns alle um. Wir haben gute Arbeit getan. Dann die Hiobsbotschaft. Es fehlt Holz. Also wieder los. Den Rest des Vormittages wird also wieder Holz gehackt und geschleppt und gesägt und es wird geschwitzt und gestöhnt und geflucht.
Dann esse ich bei Don Nicolas zu Mittag. Seine Frau hat sehr leckeres Essen gemacht. Seco de Pollo. Ecuadors Lieblingsessen.
Am Nachmittag wird weitergewerkelt am Haus. Und so können wir am Abend immerhin schon den Grundriss der Hütte und vier Stützbalken bewundern. Mein Spiegel kann weitere Stiche und einen kräftigen Sonnenbrand am Nacken bewundern.
Ich esse zusammen mit Raul, Rodolfo und Roberto in der Küche zu abend. Ein letztes mal verköstigt mich Raul, bevor ich alleine kochen muss, da Raul die nächste Woche in Quito verbringen wird und Touristen auf die höchsten Gipfel Ecuadors scheuchen wird.
Es ist ein lustiger Abend mit den dreien in der Küche. Wir erzählen noch lange Geschichten und ich vergesse komplett meine Müdigkeit. Zumindest einen Augenblick.
Und dann good night, Redneck!


Freitag, 7. Mai

Ein Tag frei. Nur für mich.
Ich schlafe aus. Die Lodge ist mein. Mein Schatz! Ich mache mir ein prächtiges Frühstück. Ich lese etwas auf dem Balkon. Ich schaue einige Folgen OC- California. Während Seth gerade sein erstes Mal mit Summer hat, schaue ich über den Laptoprand hinweg und sehe mitten in Regenwald. Ich kann nicht anders. Ich muss los. Also überlasse ich Seth und Summer sich selbst, streife meine Stiefel über und schlendere dann den kleinen Pfad hinunter, der von der Lodge in den Regenwald führt.
Es ist eine unglaubliche Stimmung. Das Licht der Sonne bricht sich in den unzähligen kleinen Blättern und landet nur selten ungefiltert auf dem moosigen Waldboden. Der Pfad führt am Ufer eines kleinen Flusses entlang. Klares Wasser glitzert so einladend und freundlich. Durch die Feuchtigkeit des Waldes und die Nähe des Wassers herrscht ein angenehmes Klima. Weder zu kalt, noch zu heiß. Überall schreien Vögel. Aus Angst, durch die patschend-saugenden Geräusche die meditative Stimmung zu stören, wage ich es kaum mit meinen Gummistiefeln durch den Matsch zu stapfen und zögere vor jedem Schritt.
So komme ich nur langsam voran. Doch ein Ziel habe ich keines und so laufe ich einfach immer weiter.
Ich weiss nicht wie lange ich weiter in diesem kleinen grünen Paradies umherschlendere und mich an den kleinsten Dingen erfreue. Irgendwann aber kehre ich zurück zur Lodge. Von meinem Magen getrieben. Ich mache mir eine Kleinigkeit zu essen und setze mich dann auf eine der Terassen in die Sonne. Ich mache ein Paar Notitzen für die Evaluation des DED.
Ich bleibe aber deutlich abgelenkt von den Kolibirs, die vor meiner Nase umherschwirren.
Am späteren Nachmittag laufe ich mit meinem Handy bewaffnet ins Dorf um Empfang zu finden. Zum Glück treffe ich auf Rodolfo. Er bringt mich hinauf zur Schule, von wo aus man Empfang haben sollte. Da fragt er mich gleich, ob ich denn Lust hätte den Schülern Computacion beizubringen. Ich willige ein, das an einem Tag zu übernehmen.
Dann rufe ich Flor an. Sie freut sich mich zu hören und fragt wie es mir gehe. Am Montagnachmittag komme sie vorbei mit Patrice um mich zu besuchen. Ich freue mich und lege auf.
Ein schöner Tag im Regenwald.

Samstag, 8. Mai

Ich hatte Rodolfo versprochen ihm bei der Arbeit mit seinen chinisischen Kartoffeln zu helfen. Um Punkt acht Uhr stehe ich vor seinem Haus. Wir trinken erst noch einen Kaffee und reden über deutsche Autos und deutsche Jahreszeiten.
Er zeigt mir seinen Affen - Martin. Es ist süßes aber unglaublich freches kleines Äffchen. Es kratzt, klaut, fletscht die Zähne und ist unglaublich süß. Wir nehmen ihn mit auf Feld zur Unterhaltung.
Dann wird gearbeitet. Gott sei dank hat es in der Nacht geregnet, dadurch ist der Boden beim Pflügen schön weich und es ist nicht so heiß. Mein hellgrünes T-Shirt ist trotzdem innerhalb
kürzester Zeit dunkelgrün. Ich schwitze. Mal wieder.
In einer kleinen Pause lutschen wir Zuckerrohr und ärgern den Affen. Es macht Spaß. Dann ist es schon Mittag und ich bin mal wieder unglaublich kapputt. Ich gehe mich duschen und esse dann zusammen mit Rodolfo und seiner Familie zu Mittag. Es ist verdammt lecker und es fühlt sich so verdient an.
Zurück in der Lodge repariere ich meine FlipFlops, wasche meine Wäsche, schaue einen Film, putze die Küche und mache mir Abendessen. Ein ruhiges Leben.
Jetzt habe ich etwas Zeit um zu schreiben. Um mich herum zirpen die Grillen, Ich schlage mich regelmäßig auf Grund von kleinen Insekten oder reibe meinen Sonnenbrand.
Morgen muss ich um halb 5 aufstehen, um nach Puyo zum Einkaufen zu fahren...
Gute Nacht, Paradies...



Hier brechen die Aufzeichnungen ab. Die Anstrengungen der Tage waren zu groß um am Abend noch einen Stift in der Hand halten zu können.
Ein Resüme möchte ich trotzdem ziehen.
Ich bin stolz und glücklich diese Erfahrungen gemacht zu haben. Ich habe unheimlich viel gelernt. Habe Freude erlebt und Anstrengung in seiner reinsten Form.
Ich habe die Natur so nah wie noch nie gefühlt. Habe unerwartet Freunde gemacht. Meinen Körper noch nie so gefühlt. Fitzcarraldos Opernhaus ist ein Gewächshaus.
Und das ganze mitten im Regenwald. Und jetzt für immer in meinem Herzen.

Eine Kamera hatte ich leider nicht. Aber diese Fotos habe ich zusammengetragen:
Praktikum im Regenwald