Montag, 1. März 2010

Alle Wege führen nach Babahoyo!

Ein verherendes Erbeben in Chile, Vulkanausbrüche in Ecuador und Unwetter in Europa, das sind die Meldungen, welche die Natur uns zur Zeit schickt.
Es ist Samstagmorgen und mit Kopfschmerzen lese ich von dem Unglück in Chile.
Schokiert lese ich von den Opfern und will plötzlich einfach nur los. In einen Bus einsteigen und fahren. Sehen, von der Welt, in der ich leben. Erfahren und erleben.
Ich treffe mich mit Yoki am Terminal und wir beschliessen nach Salinas zu fahren. Ein kleines Dörfchen in der Sierra, etwa 2 Stunden von Riobamba entfernt.
Bekannt für den Salzabbau unter schrecklichsten Bedingungen in der Vergangenheit und leckeren Käse und Schokolade heutzutage. Das ist doch ein gutes Signal denke ich mir. Eine positive Wendung. Optimistisch.
Die Sonne lassen wir in Riobamba zurück und der Bus klettert umgeben von Wolken langsam die steile Strasse am Chimborazo hinauf. Je weiter wir fahren, desto kälter wird es. Einige Alpacas stehen frierend in einer von Schnee oder Raureif weiss gefärbten Landschaft. Schnee – natürlich! Ich würde mein Tshirt gerne gegen das weiche Alpacafell tauschen.
Kurz vor Guaranda steigen wir aus. Kein Schnee, dafür Regen. Viel Regen.
Wir schleichen durch das kleine Dörfchen Guanujo. Ein kalter Wind streicht durch die engen, mit alten Kolonialhäusern gesäumten, Gassen. Wir wagen den Kauf einer Flasche „pajaro azul“ (blauer Vogel), ein bläulicher Schnaps aus den Umland Guarandas.
Nach einem stärkenden Mittagessen wollen wir weiter. Der Regen ist ungemütlich. Nass kalt.
Wir stellen uns an die Strasse und warten auf einen Bus nach Salinas, trampen macht keinen Spass bei einem solchen Wetter.
Der Regen scheint sich wohlzufühlen hier. Er bleibt und wird nur stärker. Yoki und ich denken es beide. Was sollen wir bei einem solchen Wetter in Salinas? Kalt und nass.
Da taucht der Bus nach Salinas auf. Wir wissen es beide ganz genau als wir uns anschauen. Wir werden nicht einsteigen. Grinsend lassen wir den Bus weiterfahren. Wir wollen in die andere Richtung. Auf an die Küste, da ist es warm. Und sonnig. Und schön. Das denken wir.
Also noch einmal in den Regen hinaus. Wir wechseln die Strassenseite. Ich trete in eine tiefe Schlammpfütze und fluche. Doch jetzt mit einem Lächeln. Die Idee gefällt uns. Einfach losfahren. Der erste Bus der kommt fährt nach Babahoyo, der Provinzhauptstadt von Los Rios.
Nie gehört den Namen. Aber klingt gut. Also nichts wie hin.
Und schon fahren wir los. Der Bus schlängelt seinen Weg durch saftiggrüne Bergketten. Alpacas und Kühe weiden an beiden Seiten der Strasse. Einzelne Indígenas kommen die Strasse, die mehr einem Feldweg gleicht, hinauf – schwer bepackt mit Getreide oder Reisig.
Wir geniessen die Fahrt. Immer höher fahren wir, dabei sollten wir doch eingentlich zur Küste hinab fahren. Und so fahren wir direkt in eine Wolkenkette hinein. Keine fünf Meter kann man nun mehr sehen. Es ist kalt – selbst im Bus. Und so fahren wir durch eine geisterhaft stille Welt. Die Hydraulikbremse des Busses gibt uns nun auch zu verstehen, dass es steil bergab geht. Innerhalb kürzester Zeit wechselt die nebelige Landschaft. In dem Dunst tauchen nun riesige Palmen und Farngewächse auf. Die Landschaft wird üppiger. Und dann stossen wir durch die Nebeldecke hindurch. Was für eine Welt! Nur noch kleine Nebelschwaden ziehen gespenstisch durch die Palmspitzen. Die regenwaldähnlichen Bergformationen sind nun das unheimliche Licht der untergehenden Sonne getaucht.
Weder Sierra noch Nebelwald noch Regenwald umgibt uns. Vielmehr eine Mischung aus allem zugleich. Riesige Bananenplantagen liegen friedlich und unscheinbar auf den Anhöhungen. Wasserfälle strömen ins Tal hinab. Hinab in die Ebene.
Und was für ein Bild zeigt sich uns dort. Entlang der Palmen und Bananenstauden zieht sich, zur untergehenden Sonne hin, ein Tal das kilometerweit entfernt in die flache Ebene der Küstenregion übergeht. Es scheint uns bis zum Meer sehen zu können. Und doch sind wir noch immer mitten in den Bergen. Ein weiterer Augenblick in dem Yoki und ich die kleinen Räuber verfluchen, die uns unsere Kameras nahmen.
So also bleibt dieses Bild nur uns. Und tief in unserem Herzen sitzt es nun. Eingebrannt ist die Schönheit und die Vielseitigkeit dieses Landes.
Es wird warm. Tshirt warm. Yoki und ich stossen an. Der blaue Pájaro Azul der Sierra erfüllt auch hier an der Küste seinen Zweck.
Immer wieder liegen kleine Schwimmbäder mitten im Dschungel. Unterhalb von Wasserfällen direkt neben dem kleinen Feldweg, auf dem der Bus hinunterdonnert, liegen schlicht schöne Schwimmbecken mit Wasserrutschen. Mitten im Dschungel.
Noch einmal ändert sich die Landschaft. Die Vegetation wird einfacher. Kein Dschungel mehr. Nur noch einfache Banananstauden immer wieder und mooriges Land. Reisfelder und Häuser auf Stelzen. Flaches Sumpfland, soweit das Auge nur sieht. Was für eine Moskitohochburg muss Los Rios sein. Yokis Gastbruder hat sich hier Malaria zugezogen. Das fällt uns aber früh auf. Es wird dunkel und wir fahren auf einem langen Highway durch die flache Sumpflandschaft. Wir unterhalten uns mit einigen Mitfahrern. Über die gute Laune und Offenheit der Costeños freue ich mich immer wieder. So fahren wir lachend weiter.
Wir erreichen Babahoyo. Es ist eine Stadt, die keine Touristen geowöhnt ist. Das sehen wir gleich . Ein Reiseführer würde sie wohl mit authentisch, doch weniger sehenswert beschreiben.
Im Bus noch zeigt man uns ein billiges Hotel und wir steigen in der stickig heissen Abendluft aus. Für 5 USD pro Kopf beziehen wir das mit eigenem Bad und Kabelfernseher ausgestattete Hotel. Der Betreiber lacht freundlich – klar Costeño.
Mit Rippchenhemd bewaffnet gehen wir auf die Strasse. Die Leute wuseln umher oder fahren auf fahrradähnlichen Mopeds durch die Stadt. Wir laufen am „malecón“ – dem Flussufer. Eine lange Promenade mit einzelnen patriarchischen Häusern führt das Flussufer entlang. Die zwei braunen Flüsse San Pablo und Caracol vereinigen sich hier zum Río Babahoyo, der weiter südlich in den Guayas mündet.
Die träge braune Brühe der Flüsse gefällt mir. Sie passt in die Stimmung. Am anderen Ufer sind kleine Hütten zu erahnen.
Wir schlendern durch die Stadt und geniessen in der Hitze ein kühles Bier. Was für eine Stimmung. Was für ein Land. Keine fünf Stunden reine Busfahrt und schon hat ist man in einem anderen Land. In einer anderen Welt.
Die Leute sitzen an der Strasse und unterhalten sich. Die Jugend fährt auf Motorräder vorbei. Wir sitzen vor einem Kiosk auf Plastikstühlen und unterhalten uns mit 3 Babahoyenses. Vater, Sohn und Cousin. Alles Anwälte. Sie geben uns ihre Karte. Wir sollen sie anrufen wenn wir Probleme haben. Der ehemalige Bürgermeister sei sein Cousin, ruft der Vater und bestellt noch eine Runde Bier. Jetzt sei eine Frau Bürgermeisterin. Eine Frau. Er verdreht die Augen und lacht.
Wir haben Hunger. Yoki geht an die nächste Ecke um schon einmal etwas zu bestellen. Ich warte. Doch er kommt nicht wieder. Und ich warte. Und warte. Dann mache ich mir Sorgen.
Ich gehe los. Mich trifft ein Wassertropfen an der Stirn. Ich schaue hinauf in den Himmel und im nächsten Moment werde ich unglaublich nass. Unwetterartig fällt der Regen auf Babahoyo hinab. Vergnügt kreischend suchen die Menschen Unterschlupf.
Innerhalb von Minuten ist die Strasse überschwemmt. Ich treffe einen verdutzten Yoki im Regen und wir setzen uns in das überdachte Strassenrestaurant. Um uns herum geht die Welt unter. Es fällt immer mehr Wasser. Aus den Strassen werden reissende Flüsse, denn mangels Gullis können die Wassermassen nicht geordnet abfliessen.
Nach dem Essen scheint es uns trotz Müdigkeit nicht möglich nach Hause zu gehen. So stehen wir bald in dem Kiosk von Pablo. Pablo freut sich über Touristen. Immer wieder hört er wie viele Touristen in Ecuador unterwegs sind. Gesehen hat er noch kaum welche. Pablo läht uns auf einige Biere ein und wir unterhalten uns mit ihm und seinen Freunden noch lange.
Wir sollen doch wiederkommen, sagt er uns und schaut uns die in die Augen, als wir gehen wollen. Wir nicken bestimmt und verabschieden uns herzlich.
Doch der Weg ins Hotel ist kein leichter. Immer wieder stehen wir unschlüssig vor den Wassermassen auf der Strasse und können beim besten Willen nicht durch die braunen Schlammbäder kreuzen. Labyrintisch folgen wir dem quadratischen Strassensystem bis wir vor unserem Hotel stehen – doch leider auf der anderen Strassenseite. Dazwischen wadentiefes und tieferes Wasser. Nachdenklich starre ich in die braune Masse und überlege, während Yoki schon Schuhe und Socken ausgezogen hat und durch die Wassermassen watet.
Platsch. Und dann liegt er vollkommen im Wasser. Über irgendetwas ist er gestolpert. Ich lache vorsichtig immerhin muss ich ja auch noch hinüber. Inzwischen stehen viele Leute auf dem Gehweg und beobachten und geben Tips. Andere aber sehen genauso verzweifelt aus und wollen nur trockenen Fusses nach Hause. Auch der Hotelbetreiber steht da und lacht herzhaft als er den kleinen „alemán“ ins Wasser plumsen sieht.
Der grosse hat mehr Gück, zwei Jungen mit einer Rikscha bieten ihm an ihn hinüberzubringen. Auf der Mitte der Strasse inmitten der tobenden Fluten meint einer der Jungen zu mir. Das macht dann 5 Dollar. Was? Frage ich ihn. Naja in der Regenzeit ist es teurer. Normalerweise nur einen. Ich gucke ungläubig. Er grinst. Dann lache ich. Sie lachen auch. Ein Witz. Aber ein guter.
Nach diesem Tag fallen wir unglaublich müde ins Bett. Schlafen können wir trotzdem nicht. Es ist trotz Ventilator zu stickig und heiss. Aber es hat sich alles gelohnt.
Der nächste Tag bietet uns eine ebenso spektakuläre Rückfahrt. Und wieder sind wir von diesem Land entzückt.
Was ist das nur für ein Land in dem wir hier leben. Man glaubt es nach über einem halben Jahr etwas zu kennen und doch überrascht es einen immer wieder.
So klein. So kompakt. So schön.

Es tut mir vielleicht so leid wie noch nie, das ich keine Kamera dabei hatte, denn diese Eindrücke hätte ich unglaublich gerne mit euch geteilt. So müsst ihr euch die eigenen Bilder davon machen. Nur eines soll gesagt sein. Übertrieben habe ich nicht.
Und eine neue Kamera ist auch schon auf dem Weg! Ich freue mich!

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