Mittwoch, 25. November 2009

LOST - in Ecuador!

Nach der berauschenden Geburtstagsfeier vom Freitag sollte für den Samstag ein Ausflug zu den “aguas termales” von Palitahua anstehen. Was ich mir morgens im Bett jedoch nur schwerlich vorstellen konnte. Ich wollte nur weiterschlafen und weiterschlafen und nochmals weiterschlafen.
Aber geplant war geplant! Denn am Freitagnachmittag bei der Arbeit hatte ich mit Yoki, Simon, Fabián, mein ecuadorianischer Arbeitskollege, Carlos und Leonardo, ebenfalls Arbeitskollegen, beschlossen von Samstag auf Sonntag an der Thermalquellen von Palitahua zu übernachten.
Also wurde wieder einmal der alte VW-Bus von Fabian bepackt, es wurde Essen, Trinken und andere lebenswichtige Dinge gekauft, Zelte organisiert, die Reifen gewechselt und dann konnte der Spaß losgehen.
Zunächst holten wir Carlos in Guano ab und fuhren dann bei strahlendem Sonnenschein weiter in eine kleines Dörfchen unterhalb des Tungurahua namens Penipe, wo der ortskundige Leonardo, der uns als “guia” - also Führer dienen sollte, schon auf uns wartete.
Unser Weg führte weiter in Richtung Tungurahua und überall konnte man noch die Spuren der mächtigen Ausbrüche der letzten Jahre sehen. Zerstörte Häuser und Brücken, riesige Schluchten, durch welche die heiße Asche und Lava gerollt war und nur wenige befahrbare Straßen. So quälte sich der gelbe VW-Bus nur mühsam die holprigen Wege hinauf.
Die Vegetation hatte sich stark von der Riobambas verändert, obwohl wir nur etwa eine Stunde entfernt waren. Man spürte, dass man dem Erholungsort Banos nah war. Die Vegetation war üppiger und grüner im Vergleich zum staubigen Riobamba.
In einem kleinen feuchten Wäldchen fühlte ich mich wie im Frühling im Schwarwald, auch wenn ich noch nie im Frühling im Schwarzwald war, so muss es sich anfühlen. Eine frische, etwas feuchte Luft und leichte Sonne, die sich in den Nadelbäumen bricht.
Leider hatten wir bald einen Punkt erreicht, an dem der Schotterweg endete und der VW-Bus beim besten Willen nicht weiterkam. Von hier aus also laufen.
Leonardo deutete auf einen Punkt am fernen Horizont, dort mussten wir hin. Wie wir sehen konnten führte der Weg durch mehrere Bergschneisen, das bedeutete ein munteres Auf und Ab.
Doch was uns jetzt erwartete, damit hatte keiner, außer wohl Leonardo, gerechnet.
Anfangs konnten wir noch einem kleinen Pfad folgen, während die Vegetation um uns immer mehr der des Regenwaldes glich und auch die Luft stickiger wurde. Wir passierten mehrere Wassserfälle und mussten schon über kleinere Bäche springen.
Doch mit der Zeit verlor sich der Pfad und uns blieb nichts anderes übrig als hinter Leonardo herzutrotten, der sich einen Weg durchs Dickicht schlug. Da es bereits anfing dunkel zu werden, legte er dabei ein Tempo vor, dass wir dachten die Regierungstruppen wären hinter uns Guerilleros her.
Mit der Zeit fühlte ich mich wie in der Fernsehsendung LOST und hörte schon die rasselnden Geräusche des Monsters, das da hinter dem nächsten Busch (Was sage ich? Es war ein einziger Busch!) lauert. Dann aber waren wir wieder Guerilleros auf dem Weg, die sich in den Bergdschungel zurückgezogen haben um von dort aus die Juntaregierung zu sabotieren.
Irgendwann aber hörten auch diese etwas romantischen Gedanken auf, denn darauf konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Es gab wichtigeres. Denn es war nun in der Dämmerung schwer genug vorwärts zu kommen, denn neben uns öffneten sich nicht selten riesige Schluchten, die man erst im letzten Moment sah und beinahe abrutschte.
Immer dunkler wurde es und wir hatten nur eine Taschenlampe, mit der Leonardo vorrannte. Zur Sicherheit verteilten wir WalkieTalkies um im Kontakt zu bleiben. Nicht lange und es bildeten sich auch schon zwei Gruppen.
Und wir stolperten immer weiter. Und immer weiter. Mit dem schweren Gepäck auf dem Rücken stolperte man nicht selten über Wurzeln, die eher riesigen schlangenähnlichen Schlingpflanzen glichen, oder man rutschte einen Abhang einige Meter weit herunter.
Der Nachhut, bestehend aus Fabian uns Simon, war inzwischen nicht mehr in Sichtweite und nur über das WalkieTalkie konnten wir Kontakt halten. Was unser Funker Carlos auch fleißig tat.
Der Nachhut war in einen Hinterhalt geraten und nun gezwungen auf dem Boden zu liegen und sich auszuruhen, wie Fabian über das WaklieTalkie bekanntgab.
Also kämpften wir uns weiter, denn wir sahen uns kurz vor dem Ziel. Sollten wir die Termalquellen sicher erreichen, dann würde Leonardo mit der Taschenlampe in einer Kamikazeaktion zurückkehren und den Nachhut retten.
Aber auch wir kamen und kamen nicht an! Mir peitschten Pflanzen ins Gesicht, der Boden unter mir war uneben und ich stolperte, kroch und kämpfte mich weiter. Immer das Fluchen von Yoki hinter mir, der den Moment verfluchte, in dem er sich entschlossen hatte seine Gitarre mitzunehmen.
Und während ich wieder mit einem Bein in einem unsichtbaren Loch feststeckte, aus dem ich mich zu befreien versuchte, da verkündete der ferne Leonardo die frohe Mähr. “Las aguas termales!”
Doch die erste Freude hielt nicht lange. Wir befanden uns auf einer kleinen Plattform umgeben von dichtbewachsenen Berghängen, von denen sich Wasserfälle herabstürzten, jedenfalls vermuteten wir das auf Grund der Geräuschkulisse. Eine Hiobsbotschaft bestätigte die Ahnung. Der Boden überall um uns herum war mehr Wasser als Erde. Wir befanden uns in einer riesigen, dicht von Sträuchern bewachsenen Pfütze. Zum Teil standen wir komplett im Wasser.
Kein Platz für die Zelt geschweige denn eine Feuerstelle.
Während Leonardo also mit der Taschenlampe loszog um unsere verlorenen Helden zu retten, da entzündeten wir einige Kerzen und begutachteten ernüchtert unsere Umgebung.
Jubelschrei drangen an unser Ohr. Endlich waren auch die anderen eingetroffen.
Gemeinsam wurde weitergesucht nach einem geeigneten Plätzchen, das wir auch schließlich fanden. Dort war der Boden nur sehr feucht, aber richte um Zelt aufzubauen und mit viel Glück auch um das Feuer zu entzünden.
Es wurden Arbeitsgruppen gebildet. Die einen bauten die Zelte auf, sammelten Feuerholz, andere stutzten das meterhohe Gestrüpp etwas oder versuchten sich schon am Feuermachen.
Auch das stellte uns vor die nächste Schwierigkeit. Zu anfang unserer Tour hatte Fabian extra etwas Benzin aus dem Tank des VW-Busses gesaugt um Feuer zu machen, doch das kleine Fläschchen ging in den Strapazen der Nebelwaldtour verloren. Schließlich schaffte es Carlos aber doch noch mit den Kerzen ein großes Feuer zu entzünden und wir grillten vor unseren Zelten sitzend das mitgebrachte Fleisch und tranken Zimtwasser mit Schnapps um uns zu wärmen. Ich wunderte mich noch immer wie wir das alles in kompletter Dunkelheit geschafft hatten. So verbrachten wir die Zeit am Feuer, wärmten uns und Leonardo erzählte Geschichten über den Puma, der in den Wäldern hier wohnt und natürlich eine große Vorliebe für Gringo-Fleisch hat.
Später gingen wir dann noch zu den vulkanischen Thermalquellen, die direkt unterhalb unserer Zelt lagen. Direkt an einem kalten Fluss, gibt es zwei kleine Teiche von heißem natürlichem Vulkanwasser. Dort hielten wir noch unsere Füße ins Wasser um dann nach einem letzten Schluck Canelaso todmüde und stolz über dieses Abenteuer in die Zelte zu fallen.
Am nächsten morgen in aller Herrgottsfrühe machten sich unsere Ecuadorianer schon auf um in den Quellen zu baden. Ich blieb liegen. Schlafen gefiel mir vorerst besser, schon allein weil es im Zelt schön trocken und da draußen unheimlich nass war. Inzwischen hatte es auch begonnen zu regnen.
Schließlich raffte ich mich aber doch auf. Jedoch erst nach einem ausgiebigen Frühstück bestehend aus restlichem Fleisch, Brötchen, Wurst und Käse. Wie es sich für die Guerilleros gehört!
Dann aber nichts wir hinein ins heiße Nass! Und was war das nicht für eine fantastische Sache. Das war ein Naturwhirlpool mit Blubberbläschen und allem Luxus, bloß eben mitten in der Natur neben einem eiskalten Fluss.
Nachdem wir die Wasserfälle der Umgebung noch etwas erkundeten und uns noch immer fühlten wie Guerilleros auf der Flucht vor den Regierungstruppen, räumten wir unser Zeltlager und begannen den Rückweg.
Dieser gestaltete sich zwar auch sehr anstrengend und abenteuerlich, mit Stürzen und Stolpern, glich aber im Vergleich zum Hinweg einem Spaziergang.
Und was war das für ein Gefühl, als ich den gelben VW-Bus zwischen den Blättern hervor glitzern sah. Amnestie für die Guerilleros und der Rettungshubschrauber ist auf der LOST-Insel gelandet. Aber werden wir je wieder in der Gesellschaft klar kommen? Wird das Leben nach der Rettung das selbe sein wie zuvor? Werden wir noch die selben sein?
Die Rückführung in die Gesellschaft gingen wir langsam an. Bevor in die Stadt zurückkehrten wurden wir erst einmal von Leonardo in sein Haus zum Mittagessen eingeladen, wo wir die vielleicht leckerste Suppe der Welt bekamen und danach noch Kekse so süß wie der Himmel.
Leonardos Familie hat zwei Häuser. Eines im vom Tungurahua bedrohten Gebiet, und ein anderes in einer Siedlung erbaut von einem Sozialprojekt nach den schweren Zerstörungen durch den Tugurahua. In dieses Haus, in dem die Familie oftmals am Wochenende wohnt lud er uns ein.
Die aus dem Boden gestampfte Siedlung aus quadratisch angeordneten Baracken wirkt nicht wirklich einladend, doch die Landschaft in der sie steht ist unglaublich schön und auch von innen verstehen es die Familien die Häuser gemütlich einzurichten.
Von solchen Brackensiedlungen findet man hier viele. Überall sind hier die Auswirkungen des mächtigen Tungurahua zu sehen und zu spüren.
Aber überall wird wieder aufgebaut und erneuert. Häuser und Brücken werden gebaut und auch meine Organisation die ich arbeite, SumakLife, engagiert sich dafür, neue Anbauflächen für die Productores vor ort zu schaffen. Die alte Straße von Riobamba nach Banos, welche lange Zeit komplett zerstört war, wird auch in zwei Monaten wieder komplett befahrbar sein.
Die Thermalquellen welche wir besuchten, waren einmal in sehr beliebtes Ausflugsziel mit kleinen Hütten, Becken, Sanitäranlagen und einfachem Zugang. Das war vor den Ausbrüchen.
Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Nur einzelne völlig bewachsene Betonmauern erinnern noch an die Zeit vor den Ausbrüchen.
Dieses Abenteuer hat mir so stark wie noch nie die Kraft der Natur gezeigt. Wie die Natur sich doch immer wieder den Menschen untertan macht und sich dieser demütig beugen muss.
Die Vulkane schlafen, aber leben tun sie alle.

Bilder von LOST in Ecuador:

Aguas termales

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